Die ersten drei Monate von 2021 durfte ich in Singapur verbringen. Corona ist dort (k)ein Thema. Man hat sich dort bestens damit arrangiert und geniesst ZeroCovid. Natürlich ist es deutlich einfacher, eine Pandemie fernzuhalten, wenn man ein kleines Inselchen ist (das sieht man ja auch an Taiwan, Neuseeland, Australien, Südkorea, welche allesamt sehr gut dastehen). Es hilft auch, wenn die Bevölkerung nicht aus Prinzip dagegen ist, wenn die Regierung etwas sagt. Es hilft definitiv auch, dass sich die Regierung nicht so dermassen gegen Digitalisierung sträubt, sondern diese aktiv vorantreibt und sich nicht hinter Gesetzen versteckt, die halt die Umsetzung nicht ermöglichen (ja liebe Schweizer Parlamentarier und Bundesräte, wer macht denn die Gesetze, hä, wereliwer?)
Wie es in Singapur läuft
Die Einreise ist grundsätzlich nur für Bürger und Permanent Residents (entspricht etwa Aufenthaltsbewilligung C) erlaubt. Alle anderen, auch wenn sie einen gültigen Arbeitsvertrag haben, benötigen eine Sondererlaubnis der Einwanderungsbehörde. Diese wird extrem restriktiv und kurzfristig vergeben. Bis ich den Immigration Checkpoint durchschritten hatte, hätte diese jederzeit widerrufen werden können.
Beim Check-In am Abflug-Flughafen muss ein negativer Covid-Test vorgewiesen werden, welcher nicht älter als 72h ist. Für einige Länder, gibt es Ausnahmen, in dem Fall muss man nach Landung in Singapur Changi einen Schnelltest machen. Während dem Flug muss eine Maske getragen werden, welche nur zum Essen kurz abgelegt werden darf. Nach Landung in Singapur Changi steigen erst die Passagiere aus, welche in Singapur verbleiben. Erst danach steigen Transitpassagiere aus und werden direkt zu ihrem Anschlussgate begleitet. Sämtliche Shops und Restaurants im internationalen Teil des Flughafens waren Ende 2020 geschlossen, im März 2021 ist mit sehr kurzen Öffnungszeiten zumindest Duty-Free wieder geöffnet.
Beim Immigration Checkpoint müssen der Pass, der Covid-Test (auf Englisch) sowie die Sondererlaubnis vorgewiesen werden. Danach geht es einem abgesperrten Bereich entlang direkt zum Bus, womit man zum Quarantänehotel gefahren wird. Das Quarantänehotel bietet in der Regel nur Unterkunft für Quarantänegäste an und ist für die Öffentlichkeit gesperrt (gemischte Hotels hatten Ausbrüche...). Das Personal ist von Kopf bis Fuss in Plastik-Schutzanzüge gekleidet. Das Hotelzimmer darf während der Quarantäne nicht verlassen werden.
Nach 12 Tagen Quarantäne wird ein weiterer Covid-Test durchgeführt, wobei strikte darauf geachtet wird, dass Maske getragen und Abstand gehalten wird. Nur wenn dieser Test negativ ausfällt, darf man am 14. Tag das Hotel verlassen.
Die Quarantäne lässt sich per se aushalten. Man muss sich einfach vorbereiten und Unterhaltung mitbringen. Wir hatten Glück und bekamen eine Suite mit Aussicht in einem 4-Sterne-Hotel (das Hotel kann nicht gewählt werden, sondern wird zugeteilt). Dreimal am Tag wird Essen vor's Zimmer gestellt. Viele Hotel-Dienstleistungen sind verfügbar, so kann man Snacks und Drinks (ja, auch ein Sixpack Tiger-Bier) aufs Zimmer liefern oder Wäsche erledigen lassen. Wenn das Hotelessen zu monoton wird, kann man über Lieferdienste beliebiges Essen anliefern lassen. Auch Freunde und Verwandte dürfen am Hoteleingang Lieferungen hinterlassen, welche dann vom Personal aufs Zimmer gebracht werden.
In Singapur kann man sich frei bewegen, fast alles ist geöffnet. Seit Anfang Jahr gilt "Phase 3" des Öffnungsplans, man darf sich in Gruppen von 8 treffen (bzw 8 Gäste pro Tag empfangen). Wer kann, arbeitet im Homeoffice. Karaoke und Clubs sind geschlossen. Restaurants und Pubs schliessen um 22:30
Sobald man die eigenen vier Wände verlässt, muss man Maske tragen. Und zwar über Mund UND Nase. Auch draussen. Auch im Wald. Auch Kinder ab 6 Jahren (und nein, im Gegensatz zu Schweizer Kindern ersticken die nicht). Dabei ist es egal ob Stoffmaske, chirurgische Maske oder FFP2/KN95. Abgenommen werden darf sie nur zum Essen im Restaurant oder wenn man anstrengenden Tätigkeiten wie Joggen nachgeht. Im ÖV ist essen eh nicht gestattet. Das kleine Schweizer Schlupfloch, mit einem Gipfeli von Genf nach Chur fahren, klappt also nicht.
Foodcourts und Hawker Centres sind geöffnet, bieten aber nur halb so viele Sitzplätze wie normal. Entsprechend gilt halt öfters mal "tapau" (take-away). Die Leute halten sich grundsätzlich sehr gut an die Maskenvorschrift, wenn man jemanden mit der Maske unter der Nase oder gar ohne sieht, ist das in 9 von 10 Fällen ein "Ang Moh" (Westler). Abstände werden gut eingehalten, praktisch überall wo sich eine Schlange bilden könnte, sind auch Abstandsmarker auf den Boden geklebt. Da alle Maske tragen, genügt ein Abstand von 1m.
Wenn man Supermärkte, Shopping-Malls oder Restaurants betritt, muss man erst Temperatur messen und sich anmelden. Dies geht am einfachsten automatisiert über die TraceTogether-App, womit man einen QR-Code einliest. Den Anmeldebildschirm zeigt man dann dem Security am Eingang. Den QR-Code kann man auch mit einem beliebigen QR-Reader lesen und dann händisch ein Formular ausfüllen. Alternativ zeigt man sein
Hardware-Token (kann man als Einwohner gratis abholen) oder Personalausweis vor (die Nummer ist als Barcode aufgedruckt und kann so eingelesen werden). Ausländer ohne Smartphone können die Passnummer händisch abtippen lassen. Die Anmeldung wird im Prinzip auch an jedem anderen öffentlichen Ort (Shops innerhalb von Shopping Malls, Taxis, Bahnstationen, Stadtpärke, ...) empfohlen, aber nicht forciert.
Ebenfalls wird eine Kontaktverfolgungsapp (TraceTogether) empfohlen. Diese nutzt zwar Bluetooth, setzt allerdings nicht auf GAAPI. Das Hardware-Token ist ebenfalls ein Tracing-Beacon und kompatibel zur App. Die App ist nicht anonym! Man muss sich mit allen Daten inklusive Passnummer eintragen. Und natürlich haben die Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Daten.
Da die TraceTogether-App unter dem Strich unverzichtbar ist, um bequem und zügig überall hinzukommen, wird sie von einer erschlagenden Mehrheit genutzt.
Im Februar hat Singapur mit Impfungen angefangen, bislang nur mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech, Moderna kommt ab April zum Zug. Der aktuelle Fortschritt ist gut, die meisten über 65 sind geimpft, aktuell können sich über 45 jährige anmelden und bekommen den ersten Schuss innert einer Woche.
Im Alltag fällt vor allem eine Änderung auf: Die ganzen kleinen Stände, welche Telefonhüllen verkaufen, sind verschwunden. Stattdessen verkaufen sie jetzt Masken. In jeder Farbe, Form und Musterung.
Und die Schweiz so
Masken? Haben wir zuwenige, darum nützen sie nichts. Im Zug und Laden sollte besser eine getragen werden. Aber keine Stoffmaske! Aber nur Mund ODER Nase bedecken, sonst kann man ja nicht atmen! Und sonst halt bei einem Internetquacksalber einen Attest besorgen.
Abstand halten ist wichtig! 2 Meter mindestens. Die Definition von Meter entspricht dem "kurzen Meter".
Kontaktverfolgung? Ja, von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Dann gibt es noch die tolle App, aber die wollen wir nicht. Wenn sogar der Bundesrat meint "chume nöööd druus" kann das ja nix sein. In die App kann man einen Code eingeben, wenn man positiv getestet ist. Blöd nur, dass man den Code erst bekommt, wenn man wieder genesen ist. Ausserdem ist die eh nur dazu da, damit der
Staat uns ausspionieren kann.
Einreisen? Klar, jeder ist willkommen, v.a. Superspreader aus England oder Brasilien. Quarantäne bei Einreise aus Höchstrisikogebiet? Ja schon, aber eigenverantwortlich. Also vielleicht nicht mit dem ÖV heimreisen, ausser es ist sonst zu unkomfortabel. Anmeldung bei Einreise ist erforderlich, dazu bitte dieses Fax-konforme A4-Blatt ausfüllen, das von jemandem gestaltet wurde, der keine Ahnung hat, wie man ein Formular vernünftig gestaltet (aber dafür vernichten wir die Daten nach 30 Tagen... also nachdem wir sie illegal in die Staatsschutzfiche eingetragen haben, natürlich. Steht ja auch oben auf dem Formular: Fiche de traçabilité. Nein, das ist nicht französisch, das ist eine Deklaration). Gibt's sonst auch online, da bekommt man dann einen QR-Code, den man an der Grenze vorweisen kann. Den verlangt aber keiner. Ach ja, einen Covid-Test muss man neu zwingend haben, aber der ist nur wirklich nötig, wenn man aus einem Null-Risiko-Gebiet kommt. Wenn es am Abflugort zu kompliziert ist zu testen (z.b. weil man aus Tansania kommt, wo es offiziell kein Covid und somit auch keine Testmöglichkeit gibt - aber 18% der Reisenden infiziert sind), dann kann man auch über eine Selbstdeklaration ganz Eigenverantwortlich vorgeben, dass man dann nach Ankunft in der Schweiz einen Test macht. Ey, ich schwör, gangi teschte, man!
In Singapur wird einem an einem durchschnittlichen Tag 20x die Temperatur gemessen. Automatisiertes Screening am Flughafen gibt es schon seit Jahren. Kontaktlose Handthermometer werden einem vielerorts zum Spottpreis nachgeworfen. In der Schweiz? Da kann man nicht mal ein kontaktloses Thermometer kaufen.
Impfen? Machen wir. Irgendwann. Sobald wir genug Impfstoff haben. So 2023 oder so. Bis dahin hat halt die Gruppe N (zu der fast jeder gehört) halt Pech und darf sich bis Mai... nein Juni... halt Juli... vertrösten lassen, dass sie dann im August... nein September... vielleicht die erste Impfung im Oktober oder November bekommt.
Die Impfung (wenn man sie denn je bekommt) kann man übrigens in einem digitalen Impfbüchlein eintragen lassen (geil, sind wir modern). Das äh leider äh von einer äh privaten Stiftung gepfuscht wurde und äh dessen Daten äh alle äh öffentlich sind. Äh ja.
Und ganz wichtig: Viel gegen alle Massnahmen demonstrieren gehen. Ohne Maske und ohne Abstand.
Fazit
Auf der einen Seite erst superstrikte Massnahmen, aber danach fast das volle Leben ohne wirkliche Einschränkungen, auch dank sehr kooperativer Bevölkerung. Auf der anderen Seite Larifari-Laueri-Betrieb, volle Spitäler und ewige Massnahmenorgien, auch dank einer Bevölkerung mit zu vielen renitenten Covidioten.
Sind die Massnahmen in Singapur toll? Nein, aber sie wirken. Wirklich einschränkend sind nur die Einreisevorschriften mit Sondererlaubnis, Tests und Quarantäne. Und den Grossteil von 2020 verbrachte Singapur in einem sehr strikten Lockdown, der war keinesfalls lustig für die Bevölkerung. Alle Schulen und Läden waren geschlossen, alles Essen nur Take-Away oder per Delivery. Aber seit Anfang 2021 ist es für Singapur überstanden und das Leben läuft wieder. Die Massnahmen sind nur bedingt störend. Haustür auf, Maske drauf - kein Problem. So "vergisst" man die Maske nicht, wenn man sie dann im Zug oder Laden bräuchte. Die TraceTogether-App war am Anfang unbrauchbar, wurde aber rasch verbessert. Das Leben ist etwas langsamer, man kann nicht einfach in die Shopping-Mall reinrennen, man muss jetzt erst durch die Eingangsschleuse und dort an der App rumfummeln. Öfters sind Eingangstüren zu und man muss Umwege gehen. Aber das ist alles harmlos im Endeffekt.
Klar ist es doof, dass die TraceTogether-Funktionalität gleich mitgenutzt wird, um die Überwachung noch mehr zu erhöhen. Aber unterm Strich macht das eh nicht viel aus. Ein Mobiltelefon kann eh anhand der Funkzelle halbwegs genau geortet werden. Und in Singapur wird man aus Prinzip überall von mindestens drei Kameras beobachtet.
Ist in der Schweiz alles schlecht? Nun ja dass wir aktuell "nur" 2000 Fälle am Tag haben zeigt, dass zumindest minimale Wirkung einiger Massnahmen da ist. Aber so im Vergleich: Singapur hat maximal 20 Fälle am Tag und davon sind 19 importiert (d.h. bei Ankunft oder in Quarantäne erkannt). Mit der SwissCovid-App hätten wir ein tolles Hilfsmittel, das leider keiner nutzt und das auch durch Beamtenbürokratie stark eingeschränkt wird.
Singapur ist komplett durchdigitalisiert. Beispiel: Das Covid-Testergebnis bekommt man per Mail und kann es digital mit zwei Klicks kryptographisch notarisieren lassen. In der Schweiz werden dafür Fallmeldungen weiterhin per Fax zusammengetragen und dann von Hand irgendwo eingetragen. Immerhin: Das Labor konnte mir das Testergebnis per Mail mitteilen. Unsigniert.
Kann man die singapurischen Massnahmen auf die Schweiz anwenden? Teils ja, aber zu einem grossen Teil leider nein. Die Schweiz ist zu stark mit den Nachbarn verwebt, zu viele Personen müssen täglich ein- und ausreisen, damit die Wirtschaft funktioniert.
Dazu ist die Bevölkerung viel zu wenig in Sachen Hygiene und Crowd-Awareness sensibilisiert. Eine Maske tragen sollte nicht als Stigma (iiih, der ist krank) angesehen werden, sondern als reine Vernunft (oh, der ist krank und versucht uns zu schützen). Das sind gesellschaftliche und psychologische Probleme, welche nur mit Technologie nicht behoben werden können.
Was aber in der Schweiz definitiv fehlt, ist ein vernünftiges Tracing-Konzept. Das würde halt voraussetzen, dass die SwissCovid-App richtig gepusht und um eine Check-In Funktion erweitert wird. Die Check-In Funktion kann durchaus anonym sein, technisch wäre das überhaupt kein Problem. Aber bla bla, geht nicht wegen Gesetzen. Ihr faulen Parlamentarier bekommt einen fürstlichen Lohn von meinem Steuergeld, also geht gefälligst arbeiten! Wenn's darum geht, den Pöbel zu schikanieren oder eine Bank mit Milliarden zu retten, dauert es ja auch nicht so lange, bis das Gesetz neu gemacht ist.
Als Ergänzung bzw Alternative für Leute ohne Smartphone ist ein Hardware-Token natürlich eine tolle Idee. Ich bin mir sicher, Singapur würde die Baupläne an andere Länder lizenzieren, wenn man anfragen würde. Für einen Erfolg ist es natürlich wichtig, dass man das Gerät gratis abgibt. Da hätten wir gleich zwei Dinge, die total unschweizerisch sind: Anderer Länder hochtechnologische Entwicklung übernehmen. Und dann erst noch etwas gratis für den Pöbel machen!
Auch die Einreise muss ganz anders geregelt werden. Erstens muss gerade an Flughäfen deutlich intensiver geprüft werden, ob die Leute getestet wurden. Wer ohne Covid-Test aus einem Drittweltland kommt, muss halt bei Ankunft im Flughafen unter den Augen der Grenzwächter die Klobürste in die Nase geschoben kriegen. Zweitens muss einfach in Quarantäne, wer aus einem Risikogebiet kommt. Und zwar in eine überwachte in einem Hotel. Mit organisiertem Direkttransport, ohne ÖV, ohne vorherigen Shopping-Spree. Der Aufenthalt kann durchaus durch den Staat subventioniert werden. Aktuell bekommen die Hotels einfach Geld für's geschlossen sein (ausser, sie beherbergen britische Superspreader). Stattdessen könnte man ihnen auch Geld geben für's Betreuen von Quarantänegästen. Aber, lasst mich raten, die Gesetze?